Digitale Patientenbegleiter: Mobile IT-Systeme für chronisch kranke Menschen
Kerstin Heuwinkel Abteilung Integration Management, Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik
1 Hintergrund
Die meisten chronischen und Langzeiterkrankungen sind nicht erblich, sondern durch einen ungesunden Lebenswandel bedingt. Neben der klassischen Behandlung ist eine Änderung des Verhaltens wesentlich [WM98]. Die meisten Menschen sind jedoch damit überfordert, ihren Lebensstil nachhaltig zu ändern [SS79]. Eine große Herausforderung besteht in der kontinuierlichen und bedarfsgerechten Unterstützung sowie in der Vermittlung des erforderlichen Wissens. Patienten sollten in alltäglichen Situationen Informationen und Hilfen erhalten, die dabei helfen, sich richtig zu verhalten. Benötigt wird eine Hilfestellung just-in-time, unabhängig von Ort und Zeit, bezogen auf die jeweilige Situation und das Profi l des Menschen.
Mobile, kontextsensitive Informations- und Kommunikationssysteme bieten hier ein großes Potenzial. Die Umsetzung solcher Lösungen ist jedoch nicht trivial. Es werden Verfahren benötigt, um IT-Systeme so zu gestalten, dass sie wie persönliche Gesundheitsbegleiter agieren. In diesem Beitrag wird das integrative Konzept der Digitalen Begleiter vorgestellt und an Projektbeispielen konkretisiert.
Der Aufbau des Beitrags ist wie folgt. Im ersten Abschnitt wird auf mobile Lösungen im Allgemeinen eingegangen. Dem folgt eine Einführung in die Informationslogistik als Basistechnologie für mobile, kontextualisierte Anwendungen. Das integrative Konzept der Digitalen Begleiter steht im Mittelpunkt dieses Beitrags und wird deswegen ausführlich in Abschnitt 4 erläutert. Der Beitrag schließt mit Szenarien- und Projektbeispielen sowie einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungen.
2 Mobile Lösungen
Informations- und Kommunikationssysteme haben sich verändert. Die großen Rechenanlagen wurden miniaturisiert und in Komponenten unterteilt. Netzwerktechnologien erlauben eine Arbeitsteilung, wonach ein Server (Backend) sehr komplexe Aufgaben bewältigt, während mit ihm in Verbindung stehende Clients (Frontend) einfachere Tasks bearbeiten. Als Clients werden zunehmend tragbare Endgeräte eingesetzt. Zu diesen gehören Laptops, Webpads, PDAs (Personal Digital Assistants), Smartphones und Handys. Diese sind zumeist mit Technologien zur drahtlosen Datenübertragung wie Blue-tooth, Wireless LAN, GSM/GPRS und bald UMTS ausgestattet, wodurch eine mobile Nutzung möglich wird. Unabhängig von Aufenthaltsort und Zeit kann der Anwender (Akteur) auf Informationen und Services zugreifen.
Tragbare Endgeräte mit der Möglichkeit zur drahtlosen Datenübertragung sind jedoch noch keine mobile Anwendung. Eine mobile Anwendung muss der Mobilität des Anwenders gerecht werden. Was aber heißt Mobilität ? Mobilität bedeutet erstens freie Bewegung und damit notwendigerweise auch die Berücksichtigung der Situation in der sich ein Mensch befindet und wer dieser Mensch ist. Es macht einen Unterschied, ob sich ein Arzt am Krankenbett oder Schreibtisch befindet. Ein Oberarzt in der Herzklinik benötigt andere Informationen als der niedergelassene Hausarzt. Informationen und Services müssen kontextualisiert, sprich auf Eigenschaften der Situation und des Akteurs angepasst werden.
Zweitens müssen Anwendungen an sich mobil werden und nicht lediglich statisch auf einem mobilen Endgerät mitgetragen werden. Um dieses zu realisieren, wird neben Technologien der drahtlosen Datenübertragung ein Mobilitätsmodell benötigt, das Bewegungen der Akteure, Situationen und Akteurskonstellationen abbildet. Ein wesentliches Element sind dabei neben Informations- auch Kommunikations- und Koordinationsprozesse. Im Gegensatz zu stationären Systemen kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Arbeitsumgebungen konstant und Akteure kontinuierlich eingebunden sind. Daraus resultierend steigt der Aufwand der Akteure hinsichtlich Informationsbeschaffung und -organisation. Mobile Anwendungen müssen dieses berücksichtigen, indem sie Akteure aus der Holschuld befreien und sie durch aktive Funktionen unterstützen. Beispielsweise übernehmen spezielle Komponenten die Datensynchronisation oder unterstützen den Menschen durch Erinnerungen gemäß des Tagesplans.
Schließlich verweist Mobilität auch auf Autonomie. Sowohl der einzelne Akteur als auch Akteursgruppen werden aus Organisationsstrukturen herausgelöst. Dadurch werden Integrations- und Sicherheitsaspekte berührt. Hinsichtlich des erstens Punkts muss gewährleistet sein, dass der Einzelne in die für ihn relevanten Prozesse eingebunden bleibt. Sicherheitsprobleme ergeben sich, wenn wichtige Daten auf den Clients vorliegen und damit leicht verloren gehen können oder der Zugriff auf Server ungeschützt möglich ist. Ein abschließender Aspekt kann unter dem Begriff der Autarkie diskutiert werden. Mehrere Clients können miteinander ein Netzwerk bilden, so dass der Weg über den Server nicht mehr nötig ist. Damit verbunden kann jedoch ein möglicher Kontrollverlust sein.
Die Realisierung von mobilen Anwendungen ist zusammenfassend ein viel diskutiertes Thema. Die technologischen Bausteine, die für mobile Anwendungen benötigt werden, sind schon heute verfügbar und durchaus als praxistauglich zu bezeichnen. Bei der Konzeption einer tatsächlichen Lösung, die nicht nur Demonstrationscharakter besitzt, sondern sich auch im Dauereinsatz bewähren muss, steht die Anwendungsentwicklung vor Problemen wie sie aus der Desktop-Welt weitgehend unbekannt sind. Hierbei handelt es sich zumeist nicht um unüberwindbare technische Problemstellungen, sondern vielmehr um Details, die aber für die Gesamtlösung und insbesondere für die Akzeptanz der Anwender ausschlaggebend sind. Leider sind Erfahrungsberichte über den Einsatz von Technologien nur spärlich oder nahezu gar nicht verfügbar. Spezifikationen können lediglich einen Leitfaden bieten, die Evaluierung auf eine spezifische Problemstellung lässt sich hierdurch allerdings nicht ersetzen.
Im folgenden Abschnitt wird auf eine Technologie eingegangen, die Grundlage für die Umsetzung mobiler Anwendung sein kann, da sie den beschriebenen Anforderungen mobiler Anwendungen – der Kontextualisierung, Aktivität und Autonomie – in Ansätzen Rechnung trägt. ...
Dokumentinformationen zum Volltext-Download Titel: | Digitale Patientenbegleiter: Mobile IT-Systeme für chronisch kranke Menschen | Artikel ist erschienen in: | Telemedizinführer Deutschland, Ausgabe 2007
| Kontakt/Autor(en): | Kerstin Heuwinkel Abteilung Integration Management, Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik | Seitenzahl: | 7,5 | Sonstiges: | 2 Abb. | Dateityp/ -größe: | PDF / 2.024 kB | Click&Buy-Preis in Euro: | 0,00
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