Zur Bedeutung der elektronischen Gesundheitskarte für Deutschland als Innovationsstandort
Pablo Mentzinis, BITKOM
Für Deutschland als Innovationsstandort hat die Gesundheitskarte eine große wirtschaftspolitische Bedeutung. Sie kann für die deutsche ITK-Wirtschaft im internationalen Geschäft zum Referenzprojekt werden, denn das deutsche Projekt ist umfassend und wegweisend. Zeitgleich mit Deutschland starten aber auch viele andere Länder in Europa wie Österreich, Frankreich, UK, Italien, Spanien mit zum Teil ähnlich ehrgeizigen Telematikprojekten. Damit wird zweierlei deutlich: Wenn es uns gelingt, die elektronische Gesundheitskarte zeitgerecht einzuführen, wird sich Deutschland wieder einen Namen als Innovationsstandort machen. Warten wir aber zu lange, werden wir in zehn Jahren nur noch Lösungen aus dem Ausland einkaufen können.
Die Erfahrungen der Projekte im Ausland können sich sehen lassen: In Taiwan wurde seit Juli 2002 eine Patientenkarte an 24 Millionen Krankenversicherte ausgegeben. Parallel wurden 350.000 Heilberufsausweise ausgegeben. Die Patientenkarte enthält Daten über die Krankengeschichte (chronische Krankheiten und Langzeitverschreibungen), Notfalldaten, Organspenderausweis, Impf- und Schwangerschaftspass, elektronischer Arztbrief, elektronisches Rezept, Kostenverfolgung, Berechnung der Behandlungskosten und Zuzahlungen.
Auch in Österreich sind die Entwicklungen schon weiter als in Deutschland. Die E-Card wird als Schlüsselkarte für das Gesundheitssystem zwar keine Gesundheitsdaten speichern, sie wird aber eine Breitbandvernetzung des gesamten Gesundheitswesens an der Schnittstelle zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken und die Übermittlung von Befunden ebenso wie das elektronische Rezept ermöglichen. Auf der Rückseite befi ndet sich die Europäische Krankenversicherungskarte, die den Auslandskrankenschein ersetzt. Zusätzlich ist die E-Card für die elektronische Signatur vorbereitet und kann nach Erwerb eines entsprechenden Zertifikates auch als Bürgerkarte für E-Government verwendet werden. Ebenso wie der bisher in Österreich übliche Krankenschein wird auch die E-Card für den Patienten nicht kostenlos sein. Die Chipkartengebühr wird zehn Euro pro Jahr betragen und durch den Dienstgeber jeweils im November für das folgende Jahr eingehoben.
Wir können damit schon einmal festhalten, dass Deutschland kein Pionier ist. Zudem lässt sich auch festhalten, dass Deutschland kein Neuland betritt.
Die Projekte im Ausland belegen damit also auch noch ein Weiteres: Die Entwicklung der Karte wird ohne eine umfassende Einbindung der Industrie in der vorwettbewerblichen Phase vor den Ausschreibungen mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern. Die technologischen Entscheidungen sind zu komplex, um auf die Erfahrungen, die im Ausland bereits seit einigen Jahren gesammelt werden konnten, zu verzichten. Auch die strukturelle Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems hindern uns nicht daran, die Erfahrungen der Unternehmen mit IT-Projekten im allgemeinen und Telematikprojekten im besonderen zu nutzen.
Einzelne Stimmen, die unter Hinweis auf vergabe- und wettbewerbsrechtliche Probleme die Industrie weitgehend aus den weiteren Entwicklungen ausschließen wollen, verkennen die rechtlichen Rahmenbedingungen.
Rechtlich können Unternehmen durchaus den künftigen Auftraggeber beraten, es muss nur sichergestellt werden, dass die beratenden Unternehmen keine Wettbewerbsvorteile haben. Im Klartext: Alle Ergebnisse und Zwischenergebnisse müssen veröffentlicht werden. Die Industrie muss gerade bei besonders komplexen öffentlichen Ausschreibungen bereits im Vorfeld eingebunden werden, um sicherzustellen, dass der Auftraggeber überhaupt weiß, welche technischen oder organisatorischen Lösungen sinnvoll sind.
Diesen Zusammenhang hat der EU-Gesetzgeber bereits frühzeitig erkannt und durch die Einführung des sog. Wettbewerblichen Dialogs gerade für diese Situation eine neue Verfahrensform bei der Vergabe öffentlicher Aufträge geschaffen, die einen sinnvollen Ausgleich der Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer schaffen kann. Diese Regelungen werden gerade vom Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen einer umfassenden Reform des deutschen Vergaberechts umgesetzt. Aber auch heute belegt die einschlägige Rechtsprechung der Vergabekammern und -senate bereits klar, dass sog. Projektanten, also Unternehmen, die den Auftraggeber im Vorfeld vor einem öffentlichen Auftrag beraten haben, nicht automatisch ausgeschlossen werden müssen. Nicht ausreichend ist nach der ganz herrschenden Meinung der sog. „böse Schein“, vielmehr muss nachweislich und belastbar ein Insiderwissen und damit ein Wettbewerbsvorsprung des beratenden Unternehmens bestehen. Legt man diesen Maßstab zugrunde sind die Folgerungen für das Telematikprojekt „elektronische Gesundheitskarte“ klar:
- 1) Weder Ministerium noch Selbstverwaltung können auf das Know-how der Industrie verzichten.
- 2) Das Know-how kann auch in der vorwettbewerblichen Phase (Erarbeitung der Lösungsarchitektur) eingebunden werden.
- 3) Voraussetzung ist, dass nicht diejenigen Unternehmen, die mitarbeiten, Gefahr laufen, von künftigen Ausschreibungen ausgeschlossen zu werden
- 4) Wettbewerbsnachteile von Unternehmen, die sich nicht an der vorwettbewerblichen Unterstützung des Ministeriums und der Selbstverwaltung beteiligen, lassen sich durch die zeitnahe und regelmäßige Information über die Ergebnisse und Zwischenergebnisse des Projekts verhindern.
Kontakt Rechtsanwalt Dr. Pablo Mentzinis Bereichsleiter Public Sector BITKOM – Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. Albrechtstr. 10 10117 Berlin Tel.: 0 30/ 2 75 76-130 Fax: 0 30/ 2 75 76-139
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