Malu Dreyer; Ministerin für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit
1 Ausgangssituation
Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz unterstützt im Rahmen ihrer Multimedia-Initiative im Bereich eHealth innovative IT-gestützte Strukturentwicklungen im Gesundheitswesen. Sie knüpft dabei an wichtige Erfahrungen an, die Mitte der 90er Jahre in einem in Deutschland damals erstmaligen Projekt „Gesundheitskarte Neuwied“ im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Koblenz gemacht wurden. Unter fachlicher Begleitung des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) waren seinerzeit an Patientinnen und Patienten von Hausärzten im Bereich Neuwied (60.000 Einwohner) spezifische „Gesundheitskarten“ ausgegeben worden, die medizinische Informationen über die Behandlung und verabreichten Medikamente enthielten. Dieses Projekt leistete erste zielführende Erfahrungen zur Implementierung der kommenden elektronischen Gesundheitskarte.
Auf der Basis der dabei gewonnenen fachlichen, organisatorischen und technischen Erfahrungen wurde vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit 2001 eine Projektgruppe mit dem Auftrag eingerichtet, ein entsprechendes größeres Modellprojekt auszuarbeiten und vorzubereiten. Ausgangspunkt dieser Überlegungen waren auch die Erfahrungen medizinischer Defizite im Zusammenhang mit dem Lipobay–Skandal 2001. Dies führte im Bundesgesundheitsministerium zu Überlegungen einer Patientenkarte im Sinne von verbesserter Überprüfung von Nebenwirkungen abgegebener Medikamente. In dieser Projektgruppe arbeiteten Vertreter der Vertragsärzte, Krankenhausgesellschaft, Landesärztekammer, Landesapothekerkammer, der gesetzlichen Krankenversicherung sowie Patientenvertreter und der Landesbeauftragte für den Datenschutz mit. Dieses fachliche Zusammenfassen der Kompetenz dieser Organisationen war entscheidend für die rasche Ausarbeitung eines entsprechenden Fachkonzepts, dass sich vollinhaltlich an den gesetzlichen Vorgaben des § 291a Sozialgesetzbuch – SGB V orientiert. Darüber hinaus wurde das Konzept technisch weiter entwickelt und erfüllt alle Strukturvoraussetzungen der verabschiedeten Rahmenarchitektur und der mittlerweile vorliegenden Lösungsarchitektur zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in Deutschland.
Zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Trier konnte der in Deutschland führende Anbieter für Praxisverwaltungssoftware, die Firma CompuGROUP, Koblenz, für das Projekt gewonnen werden. Sie hat mit ihrem Konzept „Vita-X-Gesundheitsakte“ die technische Leitung des Projektes übernommen.
2 Projektkonzeption und Zielfindung
Das Modellprojekt „elektronische Gesundheitskarte Rheinland-Pfalz“ hat zum Ziel, sektorenübergreifend den Leistungserbringern medizinische Informationen aus der Patientenakte zur Verfügung zu stellen. Das Projekt versteht sich als Gemeinschaftsleistung der Partner im Gesundheitswesen in Rheinland-Pfalz. Ärztliche, zahnärztliche Organisationen, Apotheker sowie Vertreter der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung, Patientenvertreter, Vertreter der Datenschutzbehörden und wissenschaftliche Sachverständige mit Erfahrungen im Bereich der Telematik bilden einen Projektbeirat, der Konzeption und Durchführung des Projekts begleitet.
2.1 Modellstandort Trier
Das Projekt konzentriert sich auf den Bereich der Stadt Trier mit 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sowie den die Stadt umgebenden Landkreis. Die Region Trier im Westen des Landes Rheinland-Pfalz ist Oberzentrum und Schwerpunkt der medizinischen Versorgung. Umgrenzt von Luxemburg, Belgien sowie dem Bundesland Saarland auf der einen Seite und Hunsrück und Eifel auf der anderen Seite ist die Zahl der Patientenbewegungen aus der Region und in die Region relativ gering. Damit eignet sich Trier von seiner spezifischen Funktion im Gesundheitswesen für die Durchführung des Modellprojektes in besonderer Weise. Hinzu kommt eine aufgeschlossene Ärzte- und Apothekerschaft, die sich in einer Umfrage vor Beginn des Projekts zum Mitwirken bereit erklärt hat.
2.2 Datenschutzkonzept
Es wurde von Anfang an größter Wert darauf gelegt, unter fachlicher Beratung der Datenschutzbehörden ein Konzept zu entwickeln, in dem der medizinische Datenfluss patientenbezogener Informationen von Arzt zu Arzt, aber auch vom Arzt zum Krankenhaus und zurück, nach den heute möglichen Sicherheitskriterien gewährleistet ist. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz hat das Modellprojekt begleitet und geprüft. Es wurden Änderungen und Konkretisierungen des technischen Konzeptes vorgeschlagen. So wurde das Verfahrenskonzept, das kryptographische Verfahren, das Berechtigungskonzept, die Bereiche Anzeige und Ausdruck der Inhalte der Gesundheitsakte sowie die Protokollierung und das Verfahren im Falle eines Verlustes oder der Beschädigung der Karte weiterentwickelt. Die Internetanbindung der Praxissysteme wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen separiert, so dass am Ende der Vorbereitungen keine datenschutzrechtlichen Bedenken mehr bestanden. Es ist selbstverständlich, dass mit der konzeptionellen Weiterentwicklung des Projektes auch die technische Sicherheitsstruktur den datenschutzrechtlichen Notwendigkeiten anpasst werden wird.
2.3 Patientenbeteiligung
Das Modellprojekt „Elektronische Gesundheitskarte“ orientiert sich an den Vorgaben des § 291a SGB V und deckt den Baustein „Patientenakte“ (§ 291a Absatz 3 Nr. 4 SGB V) ab. Die elektronische Patientenakte gehört zu den freiwilligen Anwendungen, das heißt, die Erhebung und Speicherung entsprechender medizinischer Informationen bedarf der jeweiligen Zustimmung des Patienten oder der Patientin. Dies wiederum erfordert eine vorherige intensive Aufklärung des jeweiligen Patienten (schriftlich und mündlich) über den Anwendungsbereich seiner gespeicherten Daten, damit dieser frei und gegebenenfalls auch widerruflich entscheiden kann, ob und in welchem Umfang er im Projekt mitwirken will (informationelle Selbstbestimmung). Gemäß den Vorgaben des Datenschutzrechtes ist sichergestellt, dass die Patientendaten nach Ende des Projekts gelöscht werden oder mit Zustimmung der Betroffenen in die kommende „Patientenakte“ übertragen werden. Damit ist die Transparenz der Entscheidungsfindung für Patientinnen und Patienten, aber auch behandelnde Ärztinnen und Ärzte gegeben. Erste Erfahrungen aus dem Projekt zeigen, dass die Patienten sehr offen für das Projekt sind und nur in geringem Umfang von der Möglichkeit, die Datenweitergabe einzuschränken, Gebrauch machen.
2.4 Auswahl der Praxen/ Auswahl der Patienten
Auf Aufforderung der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz – Regionalzentrum Trier – hatten sich zahlreiche Vertragsärzte (Hausärzte, Fachärzte, Psychotherapeuten) gemeldet, die als Projektpartner mitwirken wollten. Aufgrund der spezifischen Struktur der Praxen wurden diejenigen ausgewählt, die von ihrem Patientenprofil (hoher Anteil multimorbider Patientinnen und Patienten) und technischem Profil (unter anderem ISDN oder DSL, aktuelle Praxisverwaltungssoftware – PVS – der Firma CompuGROUP Holding mit Schnittstelle zur Vita-X-Gesundheitsakte) als geeignet einzustufen waren. Ziel ist es, den Kreis der möglichen Arztpraxen auf alle PVS – Systeme zu erweitern. Dies erfordert aber noch Absprachen auf industrieller Seite zur Übernahme der offenen Schnittstelle zur Vita-X-Gesundheitsakte.
2.5 Finanzierung
Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz – Regionalzentrum Trier –, die Landesregierung Rheinland-Pfalz, das Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit sowie die Firma CompuGROUP Health Service GmbH sind Träger des Projektes und finanzieren es. Die Kassenärztliche Vereinigung fördert die technische Umrüstung der Praxen auf die „Modellbedingungen“ mit einem Zuschuss, die Landesregierung fördert die technische Integration der beiden teilnehmenden Krankenhäuser (Schnittstelle) im Rahmen der Krankenhausfinanzierung sowie Maßnahmen der Akzeptanz- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Betriebskosten des Projektes tragen zum Teil die beteiligten Ärztinnen und Ärzte. Die restlichen Kosten trägt die Firma CompuGROUP, die das technische Konzept „Vita-X-Karte“ entwickelt hat.
2.6 Wissenschaftliche Begleitung
Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in Deutschland generell und insbesondere die Durchführung von Testverfahren in Modellregionen erfordert eine wissenschaftliche Begleitung. Aus diesem Grunde wurde ein entsprechender Auftrag ausgeschrieben und vergeben. Die Universität Trier wird diese Begleitung in den Jahren 2005 bis 2007 durchführen. Im Mittelpunkt der Arbeit werden neben allgemeinen Fragestellungen insbesondere die Bereiche Akzeptanz und Wirtschaftlichkeit stehen. Hierzu finden unter anderem auch Befragungen der Praxen, aber auch der Patientinnen und Patienten und der Bevölkerung statt.
3 Einbindung des Projektes in die bundesweite Konzeption zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte
Das Modellprojekt Rheinland-Pfalz versteht sich als (Mit)Wegbereiter der bundesweiten Einführung der elektronischen Gesundheitskarte mit allen ihren Möglichkeiten des § 291a SGB V. Aus diesem Grunde ist das Konzept eingebunden in einen Projektverbund der Länder, die sich zur Implementierung der elektronischen Gesundheitskarte in allen ihren Anwendungen bereit erklärt haben. Zusammen mit der Bundesregierung, aber insbesondere mit der von der Selbstverwaltung der Leistungserbringer und Kostenträger gegründeten Gesellschaft gematik GmbH besteht auf allen Ebenen ein enger Informationsaustausch untereinander, der zu den notwendigen Anpassungen der Konzeption je nach Schwerpunkt und Integrationsphasen der einzelnen Projekte führen wird.
4 Die schrittweise Einführung der Anwendungsbereiche der elektronischen Gesundheitskarte
Die flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte mit allen ihren Anwendungen ist ein Meilenstein des Aufbaues einer Telematik - Infrastruktur im deutschen Gesundheitswesen. Die hierfür erforderlichen rechtlichen Vorgaben sind in § 291a SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Organisationsstruktur der Telematik im Gesundheitswesen (vergleiche § 291a Absatz 7 SGB V) beschrieben. Es dürfte kaum möglich sein, an einer Stelle alle Facetten der künftigen elektronischen Gesundheitskarte (Pflicht– und freiwillige Anwendungen) insgesamt zu erproben. Aus diesem Grunde sind Prioritäten, Phasenkonzepte und Schwerpunkte zu setzen. Der Baustein „elektronische Patientenakte“ ist sicherlich der Schlussstein des Gesamtbauwerks „elektronische Gesundheitskarte“. Aus diesem Grunde sollen zunächst die Versichertendaten, das elektronische Rezept und die Arzneimitteldokumentation (AMD) technisch spezifiziert und erprobt werden. Da aber die Erwartungen der Patienten, Versicherten und der Leistungserbringer an die Karte insgesamt sehr deutlich in Richtung „elektronische Patientenakte“ laufen und insbesondere die Hoffnungen auf konkreten Nutzen und Effizienzgewinne dort liegen, versteht sich das Modellkonzept Rheinland-Pfalz als Akzeptanz fördernden Beitrag für das Gesamtwerk. Denn ohne konkreten und einsichtigen Nutzen für die Alltagspraxis der Ärztinnen und Ärzte muss man mit Akzeptanzproblemen rechnen Die technische, aber auch logistische Komplexität des Themas erfordert eine breite und nicht unter zeitlichem Druck stehende Erprobungsphase. Deshalb ist der Modellzeitraum „elektronische Gesundheitskarte Rheinland-Pfalz“ für den Zeitraum 2005 bis 2007 ambitioniert, richtig und zielführend. Es müssen Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt werden, die anschließend in der flächendeckenden Einführung der Karte genutzt werden können.
5 Sektorenübergreifende Kommunikation
Die sektorenübergreifende gezielte medizinische Kommunikation vom Hausarzt/Facharzt ins Krankenhaus und zurück (z. B. elektronischer Arztbrief, Heranziehungen von Labordaten, Röntgenaufnahmen usw.) ist ein fachlich verständlicher Wunsch aller Beteiligten. Hier die entsprechenden technischen Abstimmungen der Schnittstellen zu unterstützen, ist eine weitere Herausforderung des Projekts. Eine schnittstellenoffene Kommunikation Krankenhaus/Vertragsarzt gibt es bisher so noch nicht in Deutschland. Es gilt, die bisher hier auch im Bereich der Technik abgeschotteten Strukturen der Versorgungssektoren zu öffnen und „kommunikationsfähig“ zu machen.
Das im November 2004 in Trier gestartete Modellprojekt schreitet konsequent voran. Im September 2005 beteiligen sich 45 Arztpraxen mit bislang über 500 Patienten. Sie haben ihre persönliche Gesundheitskarte erhalten und können sie bei den entsprechenden Arztpraxen einsetzen. Seit Anfang Oktober 2005 ist die elektronische Gesundheitskarte Rheinland-Pfalz auch im Krankenhaus einsetzbar. Die hierfür notwendigen technischen Umrüstungen in zwei Schwerpunktkrankenhäusern in Trier sind weitgehend abgeschlossen. Die Teilnahme der Krankenhäuser an diesem Projekt ermöglicht damit einen verbesserten Datenaustausch (Krankenhauseinweisung, Arztbrief, Krankenhausentlassung) zwischen ambulanter und stationärer Versorgungsstruktur. Kein anderes Projekt in Deutschland kann auf soviel praktische Erfahrung beim Test der Gesundheitsakte verweisen, wie das Projekt „Gesundheitskarte Rheinland-Pfalz“.
6 Ausblick
Die Einführung der elektronischen Patientenkarte und mithin der elektronischen Patientenakte ist keine Bedrohung für unser Gesundheitssystem, sondern eine Chance zu einer besseren, insbesondere schnelleren Kommunikation in der medizinischen Behandlung. Konkreten Nutzen davon müssen alle, also nicht nur die Krankenkassen, sondern auch die Leistungserbringer und insbesondere die Patientinnen und Patienten haben. Patienten, die die oft komplexen medizinischen Behandlungsdaten ihren jeweiligen behandelnden Ärzten zur Verfügung stellen, werden rasch die Vorteile dieses Konzeptes erkennen. Deshalb steht die Nutzenrelevanz im Vordergrund dieses ambitionierten Projekts, das in Deutschland so erstmals umgesetzt wird. Die Ergebnisse der kürzlich vorgestellten Studie „Monitoring eHealth“ des Berliner Wegweiser Instituts bestätigen die Ausrichtung unseres Projekts. Die Tatsache, dass mehr als 60 % der Ärzte in der elektronischen Patientenakte den eigentlichen Nutzen der elektronischen Gesundheitskarte sehen, bestätigt unseren Ansatz in Trier. Wir lassen uns dabei von dem zielführenden Leitsatz unserer Landeskampagne „Rheinland-Pfalz – wir machen’s einfach (www.rlp.de)“ leiten. Nur nutzerorientierte Konzepte stoßen in dem sich im Moment rasant verändernden Gesundheitswesen auf die für den Erfolg eines solchen Telematikprojekts erforderliche Akzeptanz. Eine bessere medizinische Kommunikation, ein intensiverer Abgleich der Arzneimittelverträglichkeit verordneter Medikamente, die Verfügbarkeit von Notfallinformationen aus der Patientenakte sowie die Eintragung persönlicher Informationen in einem Patientenfach (z.B. Patientenverfügung, Organspendeausweis) geben dem Patienten in der konkreten Behandlungssituation eine neue eigenständigere Rolle in unserem sich wandelnden Gesundheitswesen.
Kontakt Malu Dreyer Ministerin für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit Rheinland-Pfalz Postfach 3180 55021 Mainz
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