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Deutschlands unfassendstes Werk zum Thema Telemedizin, E-Health und Telematik im Gesundheitswesen

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Das nationale Pilotprojekt für die bulgarische Gesundheitskarte PDF E-Mail
Praktische Erfahrungen bei der Migration vom Papier- zum elektronischen Rezept

Dr. Martin Hoffmann


Einleitung

Die Republik Bulgarien, eines der jüngeren Mitglieder der Europäischen Union, verfolgt eine zukunftsweisende eGovernment Strategie, die einen besonderen Schwerpunkt auf die Implementierung von eHealth-Lösungen legt. Ein Kernelement des bulgarischen eGovernment Aktionsplans ist das nationale Pilotprojekt für eine elektronische Gesundheitskarte, das seit Oktober 2007 in Betrieb ist. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Systemarchitektur und die ersten praktischen Erfahrungen aus dem nationalen Pilotprojekt zur Einführung der bulgarischen Gesundheitskarte und des elektronischen Rezepts.


Ausgangssituation

Die bulgarische Nationale Krankenversicherung (NHIF - National Health Insurance Fund) und das bulgarische Gesundheitsministerium entschieden Anfang 2006, das Optimierungspotenzial, das durch die Einführung elektronischer Kommunikation zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern zu erwarten ist, zu evaluieren. Hierfür wurde ein lokal begrenztes Pilotprojekt zur Einführung elektronischer Gesundheitskarten und des elektronischen Rezepts in einer Gesundheitskarten-Testregion initiiert. Hauptschwerpunkt dieses Projekts bildete die Erprobung der mit dem eRezept und einer Verordnungshistorie verbundenen Abläufe. Ein weiterer Schwerpunkt wurde auf die Online-Überprüfung des Versichertenstatus zur Feststellung des Leistungsanspruchs gelegt.

Dazu wurde ein Konsortium aus Industriepartnern (Cisco, Oracle, ICW, u.a.) unter der Leitung der InterComponentWare AG (ICW) beauftragt, eine Systemarchitektur zu entwickeln und die erforderlichen Hard- und Software-Komponenten zu implementieren. In den folgenden Monaten wurde das System entwickelt und bei den teilnehmenden Ärzten und Apothekern installiert. 1.000 Versicherte in der Testregion Slivnitza, einer Ortschaft 30 Kilometer westlich von Sofia mit rund 8.000 Einwohnern, erhielten eine elektronische Gesundheitskarte.


Systemarchitektur

Ziel der Systemarchitektur war, eine hoch sichere und zuverlässige Infrastruktur zu schaffen, an die sich die existierenden Softwaresysteme nahtlos anbinden ließen. Eine vollständig integrierte Lösung ließ eine besonders hohe Akzeptanz bei Ärzten und Apothekern erwarten. Daher wurde die Einführung eigener Anwendungen speziell für das elektronische Rezept vermieden, wie sie in anderen Ländern - z.B. den USA - durchaus üblich sind.

Die Kommunikation zwischen Arztpraxen und Apotheken sowie den verschiedenen Servern nutzt das öffentliche Internet als Transportmedium, erfolgt aber ausschließlich über verschlüsselte VPN-Verbindungen. Um auch für die Sicherheit auf Anwendungsebene eine optimale Basis zu schaffen, und den Zugang zum System trotzdem so einfach wie möglich zu gestalten, wurden Ärzte und Apotheker mit elektronischen Heilberufeausweisen (HBA) ausgestattet. Diese enthalten elektronische Zertifikate, u.a. für die Authentifizierung und die digitale Signatur. Mit Hilfe dieser HBAs ist es möglich, die Benutzer des Systems eindeutig als autorisierte Heilberufler zu identifizieren, und elektronische Rezepte und Verordnungen durch die Verordner sicher elektronisch zu signieren. Die Apotheker erhielten die Möglichkeit, durch die Überprüfung der elektronischen Signatur die Echtheit und die Integrität der elektronischen Rezepte festzustellen.

Analog zum Heilberufsausweis erhielten etwa 1.000 Versicherte elektronische Gesundheitskarten (eGK). Durch Einlesen der Karten in die Softwaresysteme der Ärzte und Apotheker können die Versicherten eindeutig identifiziert werden. Dabei werden aktuelle demografische Daten sowie Informationen zum Versichertenverhältnis und zum Leistungsanspruch direkt in die lokalen Softwaresysteme übertragen. Durch die Verbindung zum Server der Nationalen Krankenversicherung ist es zudem möglich, die Daten auf der eGK online direkt in der Arztpraxis zu aktualisieren.





Als Zugangsgeräte zur zentralen Infrastruktur wurden Konnektoren (so genannte ICW Healthcare Connectors) eingesetzt. Zusammen mit speziellen Kartenterminals übernehmen sie alle sicherheitsrelevanten Funktionen (Authentisierung, digitale Signatur, verschlüsselte Netzwerkverbindung, u.a.), die Zugriffe auf HBAs und eGKs sowie die Kommunikation zwischen den Arzt- und Apothekensystemen und der zentralen Infrastruktur. Alle am Projekt teilnehmenden Praxen und Apotheken wurden mit entsprechender Hardware (ICW Healthcare Connector und Kartenterminals) ausgestattet.





Zusätzliche Unterstützung bei der digitalen Signatur von eRezepten bietet der Trusted Viewer. Diese Software-Applikation wird vom Konnektor aufgerufen, bevor ein eRezept signiert werden kann. Sie zeigt dem Anwender zuverlässig den vollständigen zu signierenden Datensatz an. Dadurch wird verhindert, dass der Anwender unvollständige oder verfälschte Daten signiert.

Die elektronischen Rezepte werden auf einem zentralen eRezept-Server (ICW ePrescription Server) gespeichert. Mit Hilfe des Konnektors werden die signierten XML-Dokumente über eine verschlüsselte VPN-Internetverbindung aus den Arztpraxen an diesen Server übermittelt. Zusätzlich wird eine eindeutige Rezept-ID auf der eGK des Patienten gespeichert. Über eine zentrale Datenbank kann außerdem die eRezept-Historie eines Patienten abgefragt werden. Diese enthält sämtliche ausgestellten und eingelösten Rezepte seit Inbetriebnahme des Systems. Apotheker können, ebenfalls mit Hilfe des Konnektors, eRezepte in ihr lokales Apothekensoftwaresystem herunterladen und weiterverarbeiten. Falls das Rezept von einem Stellvertreter des Patienten eingelöst werden soll, kann es alternativ auch ohne die eGK heruntergeladen werden. Hierfür muss allerdings die eindeutige Rezept-ID bekannt sein.

Das ICW Insurance Card Module (ICM) unterstützt beim Erstellen neuer Karten sowie beim Ersetzen verlorener oder defekter Karten. Darüber hinaus dient es zum Sperren verlorener und zum Entsperren blockierter Karten. Auch die Online-Updates der Versichertendaten erfolgen über das ICM.

Wie bereits erwähnt, mussten sämtliche am Projekt beteiligten Arzt- und Apothekensoftwarehersteller ihre Applikationen an die neue Telematik-Infrastruktur anpassen. Hierfür erhielten sie ein kostenfreies Software Development Kit (SDK), das die Anbindung der existierenden Systeme an den Konnektor erleichterte und das Lesen und Aktualisieren von Versichertendaten, das Erstellen, Signieren und Speichern elektronischer Rezepte sowie der Verordnungshistorie unterstützte. Dazu stellt das SDK eine objektorientierte Progammierschnittstelle (API) für alle Funktionen des Konnektors bereit. Da es für alle gängigen Programmiersprachen (u.a. C, C++, Java, Visual Basic oder Delphi) und Entwicklungssysteme zur Verfügung steht, nutzten es alle beteiligten Softwareherstellern zur komfortablen Systemintegration.


Auswirkungen auf die Geschäftsprozesse

Verordner

Als Voraussetzung für eine medizinische Behandlung muss der Arzt in Bulgarien als erstes prüfen, ob ihm der Patient aktuell durch den NHIF zugewiesen ist. Ist der Patient anderen Arzt zugeordnet, darf ihn - von akuten Notfällen abgesehen - nur dieser behandeln. In einem zweiten Schritt hat der Arzt zu prüfen, ob aktuell Versicherungsschutz besteht. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Versicherungsbeiträge ordnungsgemäß gezahlt wurden, also innerhalb der letzten 12 Monate höchstens drei Zahlungen fehlen.

Die Überprüfung dieser Kriterien war für Ärzte bisher mühsam und langwierig. Der NHIF verschickte dazu in regelmäßigen Abständen Papierausdrucke mit Namen und Versichertendaten der anspruchsberechtigten Patienten. Jeder Patient musste vor der Behandlung in diesen Listen gesucht und gefunden werden. Durch die elektronische Gesundheitskarte und die Online-Verbindung zum Server der nationalen Krankenversicherung konnte dieser sonst sehr zeitaufwändige Vorgang auf wenige Sekunden reduziert werden, was für alle Beteiligten eine große Erleichterung darstellte.

Mit dem in Slivnitza eingesetzen System werden eRezepte mit folgenden Schritten im System des Verordners erstellt:

  • Aufrufen des eRezept-Formulars - hierbei werden Patienten- und Versicherungsdaten bereits automatisch durch das System vorgefüllt
  • Auswahl der Medikamente - Hier ist ein Medikamentenverzeichnis hinterlegt, aus dem die gewünschten Präparate per Mausklick in das Rezept-Formular übertragen werden können
  • Vorbereitung des Signierens - das komplette eRezept wird im Trusted Viewer nochmals angezeigt, so dass sich der Arzt vergewissern kann, dass seine Eingaben korrekt wiedergegeben wurden
  • Signieren durch PIN-Eingabe - der Arzt unterzeichnet das eRezept digital durch Eingabe seiner Signatur-PIN am Kartenterminal; dabei ist auch die gleichzeitige Signatur mehrerer Dokumente möglich
  • Schreiben des eRezepts auf den eRezept Server und Schreiben der Rezept-ID auf die eGK - dieser Vorgang erfolgt nach der Signatur ohne weiteres Zutun des Arztes. Gleichzeitig wird die eRezept-Historie aktualisiert
  • Optional: Ausdruck einer Rezept-Quittung für den Patienten - Diese Quittung enthält unter anderem die Rezept-ID, mit der das Rezept ohne die eGK des Patienten eingelöst werden kann





Der individuelle Anpassungsbedarf der Arbeitsprozesse hing dabei stark von der Arbeitsweise des Verordners vor der Einführung des eRezepts ab: Für Ärzte, die ihre Papierrezepte bereits am PC erstellt hatten, waren die Änderungen minimal. Der wichtigste Unterschied bestand im digitalen Signieren durch die Eingabe einer PIN. Dieser Schritt erschien vielen Benutzern, die den Ausdruck auf Papier und die manuelle Unterschrift gewohnt waren, zunächst gewöhnungsbedürftig.

Für Benutzer, die zuvor ausschließlich mit Papierrezepten gearbeitet hatten, war die Umstellung wesentlich größer, da sie sich daran gewöhnen mussten, einen PC zur Medikamenten-Verordnung zu verwenden. Die eRezept-spezifischen Aspekte (Signatur und Speichern auf dem Server) waren im Verhältnis dazu eher leicht zu erlernen. Wichtig für einen erfolgreichen Umstieg war für diese Benutzergruppe die optimale Unterstützung beim Ausfüllen der Verordnungsdaten durch das Praxisverwaltungssystem (z.B. über Listen der am häufigsten verordneten Medikamente oder komfortable Suchfunktionen bei der Medikamentenauswahl). Nach einer Eingewöhnungsphase zeichnete sich jedoch ab, dass sich elektronische Rezepte im Vergleich zum manuellen Ausfüllen eines Papierrezepts deutlich schneller ausstellen ließen.

Beide Benutzergruppen beurteilten die eRezept-Historie als besonders hilfreich. Diese zeigte nicht nur an, welche Medikamente in letzter Zeit verordnet wurden, sondern auch, ob diese tatsächlich in der Apotheke abgeholt worden waren. Gerade diese Information war wichtig, um den bisherigen Behandlungserfolg bewerten zu können, da die relativ hohen Zuzahlungen in Bulgarien oft dazu führen, dass Patienten nicht alle Rezepte in der Apotheke einlösen.


Apotheker

Apotheker berichteten über einen hohen Zeitgewinn durch das elektronische Rezept: Bisher mussten sie alle Papierrezepte unmittelbar nach der Dispensierung manuell in einem EDV-System erfassen, das der nationalen Krankenversicherung Verordnungsdaten zur Verfügung stellte. Dieser Prozess war extrem zeitaufwändig und fehleranfällig. Für das Einlösen eines eRezepts waren dagegen nur wenige Arbeitsschritte erforderlich:

  • Lesen der Rezeptinformationen von der eGK des Patienten oder Eingabe der eindeutigen Rezept-ID
  • Laden des gewählten eRezepts vom zentralen Server - dieser Schritt erfolgt automatisch
  • Optional: Überprüfen des eRezepts und dessen Signatur im Trusted Viewer
  • Ergänzung der Dispensierdaten - Informationen dazu, welche Medikamente ausgegeben wurden, ob eine Substitution erfolgte, Höhe der geleisteten Zuzahlungen, etc.
  • Signieren durch PIN-Eingabe - Der Apotheker unterzeichnet den Dispensierdatensatz digital durch Eingabe seiner PIN am Kartenterminal
  • Schreiben des Dispensierdatensatzes auf den eRezept-Server - dieser Schritt erfolgt automatisch; hierdurch wird auch die eRezept-Historie des Patienten aktualisiert

Insgesamt erwies sich die Bedienung des Systems für Apotheker als problemlos. Lediglich beim parallelen Bearbeiten von Papier- und elektronischen Rezepten waren Hürden zu überwinden: Für die Abrechnung von Rezepten müssen in Bulgarien fortlaufende Nummern in chronologischer Reihenfolge verwendet werden. Diese Nummern werden für eRezepte zum Zeitpunkt des Einlösens generiert, für Papierrezepte jedoch erst bei deren elektronischer Erfassung, die üblicherweise erst nach Ladenschluss erfolgt. Dadurch wird das Nummerierungsschema beeinträchtigt. Bei einer vollständigen Umstellung auf elektronische Rezepte wird sich dieses Problem jedoch von selbst lösen.


Ablauf der Implementierung

Trotz des komplexen Szenarios war der Start des Live-Systems nur sechs Monate nach dem Projekt-Kick-Off vorgesehen. In dieser Zeit mussten sämtliche Infrastrukturkomponenten an die Projektanforderungen angepasst bzw. teilweise neu entwickelt werden. Hierzu gehörten der ICW Healthcare Connector, der Trusted Viewer, das ICW SDK, das ICW Insurance Card Module, der ICW ePrescription Server sowie die eGKs und HBAs.

Nach Fertigstellung des SDK passten die am Projekt beteiligten Hersteller von Arzt- und Apothekensoftware ihre Applikationen an und aktualisierten die bereits in Arztpraxen und Apotheken installierten Systeme. Gleichzeitig wurden die lokale Hardware (ICW Healthcare Connector und Kartenterminals) sowie die lokalen Internetanschlüsse installiert. Außerdem wurden die zentralen Systeme des NHIF angebunden. Darüber hinaus waren rechtzeitig zum Go-Live die eGKs und HBAs zu produzieren und an Versicherte und Leistungserbringer auszugeben. Als letzter vorbereitender Schritt erfolgte die Einweisung der Ärzte und Apotheker in die Bedienung des neuen Systems.


Erste Ergebnisse

Pünktlich Anfang Oktober 2007 startete der Live-Betrieb in Anwesenheit des bulgarischen Gesundheitsministers Prof. Radoslav Gajdarski und seines Amtskollegen aus dem Ministerium für Öffentliche Verwaltung und Verwaltungsreformen, Dr. Nikolay Vassilev, der für die bulgarische eGovernment-Strategie verantwortlich ist.





Sieben Ärzte, vier Apotheken und rund 1.000 Versicherte nutzen seitdem das System, um den Versicherungsstatus und die Zuordnung der Patienten zu seinem Arzt automatisiert zu prüfen und elektronische Rezepte zu erstellen. In der ersten Evaluationsperiode von Oktober 2007 bis März 2008 haben über 600 der 1.000 Teilnehmer ihren Arzt besucht und dabei mindestens ein elektronisches Rezept erhalten. Insgesamt wurden knapp 2.500 eRezepte ausgestellt.

Schon kurz nach dem Start des Projekts zeigten sich die teilnehmenden Ärzte und Apotheker sehr zufrieden mit der Bedienbarkeit und der Zuverlässigkeit des Systems. Aussagen wie "das neue System verringert unseren bürokratischen Aufwand deutlich" oder "wir sparen bis zu drei Stunden Zeit pro Tag" belegen das eindrücklich.

Das Pilotprojekt konnte damit zeigen, dass das elektronische Rezept nicht nur technisch möglich ist, sondern sich auch relativ leicht in die Arbeitsabläufe in den Arztpraxen und Apotheken integrieren lässt. Als größte Einschränkung im laufenden Betrieb erwiesen sich die relativ häufigen Stromausfälle in der Testregion Slivnitza, die zwar kein Problem der eHealth-Infrastruktur sind, aber zu häufigen Neustarts der Systeme führten.


Fazit

Das Bulgarische eCard-Projekt hat gezeigt, dass elektronische Verordnungen auf Basis elektronischer Gesundheitskarten, Heilberufsausweise und einer aus zentralen und peripheren Komponenten bestehenden eHealth-Infrastruktur innerhalb kurzer Zeit realisierbar ist. Änfängliche Ängste wegen der neuen Arbeitsabläufe waren schon kurz nach dem Projektstart vergessen, so dass die Projektteilnehmer die Einführung der eCard insgesamt sehr positiv beurteilten.


 

Titel:
Das nationale Pilotprojekt für die bulgarische Gesundheitskarte
Artikel ist erschienen in:
Telemedizinführer Deutschland, Ausgabe 2009
Kontakt/Autor(en):Dr. Martin Hoffmann
InterComponentWare AG (ICW)
Industriestraße 41
69190 Walldorf / Baden
 
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