eHealth ist die Zukunft – ein Blick bis ins Jahr 2015 |
Roland Trill, Fachhochschule Flensburg
Einleitung
Ohne Frage besitzt Deutschland heute ein sehr ausdifferenziertes, aber auch im internationalen Vergleich gutes Gesundheitswesen, das allerdings im internationalen Vergleich auch als eines der teuersten anzusehen ist. So verwundert es nicht, dass im Jahr 2004 Ausgaben für Gesundheit 10, 6 %des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachten. Nicht wenige Experten erwarten in den nächsten Jahren eine zunehmende Tendenz. Dies ist kompatibel mit den Erwartungen, dass „Gesundheit “ der Treiber des 6. Kondratjew-Zyklus 1 sein wird.
Das deutsche Gesundheitswesen steht in der Zukunft hinsichtlich der Finanzierung vor zwei zentralen Herausforderungen: - Bewältigung der demografischen Entwicklung (die Anzahl der alten Menschen wird überproportional zunehmen, was die Kosten erhöhen wird, während die Anzahl der Einzahler abnehmen wird)
- Finanzierung des permanenten medizinischen Fortschritts (der immer mehr Krankheiten behandelbar machen und die Lebenszeit des Menschen verlängern wird) Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Ausgaben für das Gesundheitswesen von 240 Mrd. Euro im Jahr 2004 weiter ansteigen werden. Eine Studie von Roland Berger geht für das Jahr 2020 von 420 Mrd. a aus.
Die Gegenwart
Das deutsche Gesundheitswesen zeichnet sich noch dadurch aus, dass
- es stark fragmentiert ist (jeder Sektor organisiert „sich “intern, Prozesse enden oft an den Sektorengrenzen)
- der Bürger eine weitgehend passive Rolle einnimmt
- IT-Systeme innerhalb der Unternehmen und zwischen den Sektoren wenig kompatibel sind
- mobile Services (noch) eine geringe Bedeutung haben.
Die Strukturen und die Prozesse im deutschen Gesundheitswesen werden sich in den kommenden 10 Jahren grundlegend verändern. Ohne eine intelligente informations-und kommunikationstechnische Infrastruktur wird das Streben um Effektivität und Effizienz ein „Kampf gegen Windmühlen sein “:eHealth ist die Zukunft! Die Tabelle 1 vermittelt einen ersten Eindruck davon, welchen Beitrag die Technologien bei der Bewältigung der Herausforderungen zu leisten vermögen bzw. dass es unmöglich erscheint, auf eine IT-und KT-Infrastruktur zu verzichten:
Die Zukunft
eHealth beinhaltet eine weitgehende technologische Vernetzung aller Beteiligten am Gesundheitsmarkt. 2 Denkt man an eHealth-Anwendungen, fallen einem zunächst vier offensichtliche Beispiele ein: - Versorgungskooperation (z. B. indem telemedizinische Leistungen zwischen Einrichtungen erbracht werden)
- schnelle Versorgung mit Daten in Notfallsituationen (übrigens ist dies die wesentliche Motivation der Bürger, die elektronische Gesundheitskarte nach wie vor positiv zu beurteilen)
- Einholung von Zweitmeinungen (insbesondere in ländlichen Räumen wird hierdurch die Hinzuziehung von Expertenwissen befördert)
- Home Care (was die längere Versorgung von insbesondere älteren Menschen in ihrer häuslichen Umgebung mit Gesundheitsleistungen ermöglicht; in diesem Kontext spielt das so genannte Body Area Network eine wichtige Rolle, das durch Sensoren und Sender den Patienten mit dem Experten, gegebenenfalls über zwischengeschaltete Callcenter, verbindet)
Im hier zu diskutierenden Kontext spielen folgende Veränderungen im Gesundheitswesen eine besondere Rolle:
- der Bürger nimmt aktiv am Gesundheitswesen teil
- der Bürger nutzt diverse Services im Gesundheitswesen (insbesondere mobile Services) ;der Bürger führt seine eigene Patientenakte
- die Sektorengrenzen sind weitgehend aufgehoben, z. T. entstehen neue Anbieter (Vollsortimenter)
- die Elektronische Patientenakte (EPA) wird zentrales Informationsmedium für Leistungsanbieter und Bürger
Die veränderte Rolle des Bürgers ist bereits heute erkennbar. Die Nutzung des Internets (in Europa) ist beispielsweise von 19 %im Jahr 1999 auf 67 %im Jahr 2006 angestiegen. Im Internet gibt es viele Portale, die sich mit Gesundheitsfragen beschäftigen. Sie gehören zu den am häufigsten besuchten Webseiten im Internet. Jeder dritte Deutsche sucht sich Rat zu medizinischen Themen im Internet. In den USA sind erste Schritte hin zu einer Online-Medizin erkennbar. 3 Der Bürger wird dem Ziel „Gesund bleiben “ein zunehmend höheres Gewicht beimessen, was –ganz nebenbei bemerkt –auch zu weiteren Angeboten auf der Anbieterseite führen wird.
eHealth wird von allen Zielgruppen als wesentlich für den Standort Deutschland bezeichnet. Darüber hinaus sehen alle Beteiligten eHealth-Anwendungen als Erfolgsfaktoren im wachsenden Gesundheitsmarkt. Diese Einschätzung wird ein Motor für neue Anwendungen sein, was allerdings eine Erhöhung des Investitionsbudgets aller Beteiligten notwendig macht. - 97 %der Leistungsanbieter bezeichnen die Bedeutung von eHealth als zunehmend bis stark zunehmend
- 85 %der Leistungsanbieter sehen in eHealth-Anwendungen einen Wettbewerbsfaktor im deutschen Gesundheitswesen
- 73 %der Leistungsanbieter glauben gar, dass diese Anwendungen für den Standort Deutschland einen Wettbewerbsfaktor ausmachen
- 80 %der Technologie-Anbieter sehen bis ins Jahr 2015 ein Umsatzwachstum, 85 %sehen wachsende Beschäftigung (Zukunftsmarkt)
- 100 %der Anbieter bezeichnen die Bedeutung von eHealth für ihr Unternehmen als zunehmend bis stark zunehmend
- 96 %der Anbieter sehen in eHealth-Anwendungen einen Wettbewerbsfaktor im deutschen Gesundheitswesen
- 76 %dieser Unternehmen glauben, dass diese Anwendungen für den Standort Deutschland einen Wettbewerbsfaktor ausmachen werden...
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Von der sicheren Telematik-Infrastruktur zu Mehrwert-Applikationen in der integrierten Versorgung |
Von der sicheren Telematik-Infrastruktur zu Mehrwert-Applikationen in der integrierten Versorgung
Michael Meyer, Siemens AG, München
Die elektronische Gesundheitskarte ist in der öffentlichen Diskussion. Dabei herrscht jedoch teilweise immer noch Unklarheit über die mit ihr verbundenen Möglichkeiten der Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen sowie der verbesserten Patientenbetreuung. Diese Chancen werden häufig zu Gunsten einer reinen Technikdiskussion in den Hintergrund gedrängt. Dieser Artikel zeigt die Potenziale auf, die Mehrwert-Applikationen in der Sektoren übergreifenden, integrierten Versorgung auf Basis einer sicheren Telematik-Infrastruktur im deutschen Gesundheitswesen bieten können.
1 Einführung Nach einer Studie [1 ] des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BIT- KOM) aus dem Sommer 2006 lassen sich durch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) in Deutschland jährlich über 500 Millionen Euro einsparen. In einem Gesundheitssystem, das erheblich unter der Ausgabenlast leidet, müssen – so die Verfasser der Untersuchung – solche Einsparpotenziale konsequent genutzt werden.
Die neue Gesundheitskarte wird deshalb – daran besteht kein Zweifel – in den kommenden Jahren schrittweise an alle Versicherten in Deutschland ausgegeben. Es geht dabei gleichermaßen darum, Effizienz wie Transparenz im Gesundheitswesen zu erhöhen. In diesem Sinne wird die Gesundheitskarte die medizinische Versorgung verbessern. Mit ihr wird der Patient gleichzeitig aber auch erstmals tatsächlich Herr seiner eigenen Daten. Er kann damit zum Beispiel ihn betreffende Informationen einsehen, bearbeiten oder nachverfolgen, welche Personen Zugriff auf die Daten hatten.
Grundlage dafür sind die Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte: Versichertendaten, eRezept, Arzneimitteldokumentation, elektronischer Arztbrief sowie eine elektronische Patientenakte (EPA)als letzte Ausbaustufe. In letzterer können dann Befunde, Therapieangaben und viele weitere notwendige medizinische Informationen vom behandelnden Arzt mit Zustimmung der Patienten zeitgerecht dort abgerufen werden, wo sie benötigt werden. Mehrfachuntersuchungen, die den Patienten zusätzlich belasten, wie etwa zusätzliche Röntgenaufnahmen, lassen sich damit deutlich verringern.
Eine Schlüsselrolle kommt der elektronischen Patientenakte innerhalb der Integrierten Versorgung zu, die das Zusammenspiel von Klinik-, Haus-und Fachärzten verbessern helfen soll. Mit ihr wird es bereits heute erheblich vereinfacht, vernetzte Sektoren übergreifende Versorgung und somit die Kooperationen von Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen sowie Fach- und Hausärzten flächendeckend umzusetzen. Die angestrebte vernetzte Zusammenarbeit im deutschen Gesundheitssystem lässt sich damit insgesamt fördern und erleichtern.
1.1 Ganzheitliche Sicht
Um das enorme Potenzial der eGK zur Optimierung der Prozesse im Gesundheitswesen zu heben – sowohl volkswirtschaftlich gesehen, als auch für jeden einzelnen Beteiligten – bedarf es allerdings einer Betrachtung sämtlicher Abläufe. Es geht nicht um die einfache Einführung einer weiteren Karte. Sondern um die Einführung eines End-to-End-Systems im Gesundheitswesen, das die Sektoren übergreifende Nutzung von medizinischen Applikationen auf nationaler und internationaler Ebene ermöglicht. Beispiele dafür sind die elektronischen Patientenakte oder Telemedizin-Anwendungen. Insellösungen für Teilbereiche des Systems oder auch die reine Abbildung heutiger vorhandener Prozess-Strukturen werden dagegen nicht den gewünschten Erfolg bringen.
Dazu gehört, dass dabei nicht nur die sichere Telematik-Infrastruktur alleine betrachtet wird. Sondern man sollte vor allem die darauf aufsetzende Prozessunterstützung im Rahmen einer integrierten Gesundheitsversorgung vor Augen haben, um so den optimalen Nutzen für alle Beteiligten zu erreichen. Etwa wenn durch Anwendungen wie der ePA der behandelnde Arzt von überall in Deutschland auf die aktuelle Krankheitsgeschichte eines neuen Patienten zugreifen kann, um so z.B. Medikamentenunverträglichkeiten festzustellen.
Im Zeitalter der steigenden Mobilität stellt dies eine enorme Erleichterung für Ärzte und Patienten dar. Nach einer Studie der Fachhochschule Fulda üben in Deutschland alleine mehr als 1, 5 Mil- lionen Erwerbstätige ihre Berufstätigkeit als Wochenpendler aus und verbringen fünf Tage an ihrem Arbeitsort, während sie an den Wochenenden zu Hause sind. Notwendige Arztbesuche finden an beiden Orten statt – hier würde eine zentrale Patientenakte erhebliche Vorteile bieten. Gleiches gilt für Urlauber, Kurgäste oder Geschäftsreisende, die unterwegs einer medizinischen Hilfe bedürfen.
Bei der Realisierung muss das „Rad nicht komplett neu erfunden werden“. Es gibt bereits erfolgreiche internationale Projekte, die als Beispiel dienen können. Natürlich müssen sie an die besonderen Gegebenheiten im deutschen Gesundheitssystem angepasst werden. Allerdings befindet sich bisher noch kein Telematiksystem in der Größenordnung wie in Deutschland erforderlich, weltweit im Einsatz.
Wie bei jedem IT-Projekt ist auch bei der Einführung der Gesundheitskarte und den darauf aufsetzenden Anwendungen zunächst das Ziel genau zu definieren, danach die dazu notwendigen Prozesse und im dritten Schritt die dafür notwendige Technologie. Weiterhin sind Incentives für die effiziente Nutzung zu schaffen – nur so werden die Prozesse tatsächlich gelebt und lassen sich zielführend implementieren.
Anfang des Jahres 2006 wurden von der Bundesregierung acht regionale eGK-Testregionen festgelegt [2 ]. Offizieller Betreiber des gesamten Vorhabens ist die gematik (Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH) als Selbstverwaltungsorganisation der Spitzenverbände im Gesundheitswesen zur Einführung der Gesundheitskarte. Bei den Feldtests wird es voraussichtlich drei Projektphasen geben: Zunächst findet in den acht Modellregionen die eGK-Erprobung mit je 10.000 Versicherten statt. In der zweiten Phase werden drei Großräume aus den acht Modellregionen ausgewählt, danach folgt ein Zertifizierungsprozess und es werden Tests für weitere 100.000 Personen durchgeführt. Abschließend ist der flächendeckende Rollout des gesamten Systems geplant. ...
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